Geschlechterpädagogik in deutschsprachigen Ländern - Education for Equality - Going beyond gender stereotypes

Education for Equality
Going beyond gender stereotypes
Project N. 2016-1-IT02-KA201-024553
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Geschlechterpädagogik in deutschsprachigen Ländern
Entstehung und Konzepte
Annemarie Schweighofer-Brauer

Seit den 1970er Jahren entwickelten feministische, männerbewegte und Queer- Aktivist_innen und Pädagog_innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz geschlechterpädagogische Ansätze. Sie lasen ähnliche Bücher, trafen sich auf Tagungen, in Seminaren, arbeiteten zusammen, trugen kontroverse Debatten aus. Sie förderten und fördern dabei die Entstehung gemeinsamer mentaler Konzepte und Verständnisweisen von Geschlechterpädagogik.

Die Wege, die die Geschlechterpädagogik seither nimmt, folgen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit sich verändernden Geschlechterbeziehungen und Stereotypen, mit Gleichberechtigung, Chancengleichheit, dem Kampf gegen Diskriminierung, Ausbeutung und Missbrauch. Geschlechterpädagogik in den deutschsprachigen Ländern befasst sich mit Gender, sexueller Orientierung, Trans- und Intersex bzw. -gender und entsprechender Beziehungen; mit intersektioneller Diskriminierung in Geschlechterverhältnissen vermischt mit rassisierter, klassenbezogener, körperbezogener Diskriminierung; mit dem Zusammenleben in gemischten Gemeinschaften, Familien, Schulen, Jugendzentren etc.

Seit dem 19. Jahrhundert dominierten zwei Denkweisen die Perspektive auf Geschlechterbeziehungen:
1. Geschlecht – männlich und weiblich – wird durch Sozialisation, Erziehung und Prozesse des Bezeichnens und Bedeutung Gebens geschaffen.
2. Männlich und weiblich sind biologisch oder spirituell wesentlich unterschiedlich (polarisiert oder komplementär).

Parallel dazu unterscheiden sich geschlechterpädagogische Ansätze – wie z.B. im Bereich von Männerarbeit/Jungenarbeit: Mythopoetische Ansätze (die von einer wesenhaften Männlichkeit ausgehen) im Gegensatz zu kritischer Männer- und Jungenarbeit (die davon ausgehen, dass Männlichkeit durch Sozialisation und Bedeutungszuschreibung bzw. -konstruktion produziert wird).

Im Folgenden beziehe ich mich auf die kritische Geschlechterpädagogik, die konsequenter Weise auch Queerpädagogik und intersektionelle Perspektiven aufnimmt:

Mädchenarbeit
Die erste geschlechterpädagogische Schöpfung in den deutschsprachigen Ländern war die Mädchenarbeit*.
Feministische Pädagoginnen und Jugendarbeiterinnen richteten geschlechtshomogene Räume in einer offen frauenfeindlichen Umwelt ein. Gesetzliche Gleichheit und gesetzlicher Schutz waren noch keineswegs gegeben, ganz zu schweigen vom Alltag der Geschlechterbeziehungen.
Feministische Aktivistinnen stärkten Mädchen, ermutigten sie, sich selbst kennen zu lernen, solidarische Beziehungen mit Mädchen und Frauen aufzubauen und sich auszutauschen; nicht stereotype Bildungswege und Berufe zu wählen sowie entsprechende Lebensstile und Verhaltensweisen. Während der letzten Jahrzehnte veränderte sich die Mädchenarbeit und verarbeitete soziale, politische und ökonomische Entwicklungen. Häufig mussten die mühsam erkämpften und erhaltenen Mädchenräume und -ressourcen verteidigt werden.
Mit dem Argument, Gleichberechtigung wäre bereits erreicht und Mädchenräume nicht mehr notwendig, wurden finanzielle Kürzungen argumentiert. Aber die nach wie vor omnipräsente Ungleichheit, Gewalt gegen und der Missbrauch von Frauen verdeutlichen, dass wir noch nicht in der Situation sind, Mädchenarbeit aufzugeben. Außerdem begegnet die Mädchenarbeit neuen Herausforderungen wie illusorischen Körpernormen, die Mädchen auf sich beziehen (Stichwort: Supermodels), globale klassisierte und gegenderte Arbeitsteilungen, das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen, konfligierenden Einstellungen.

Jungenarbeit
In den 1980er Jahren beantwortete die “antisexistische Jungenarbeit” die feministische Forderung, dass männliche Pädagogen sich um eine antisexistische Erziehung von Jungen kümmern sollten; nach dem Muster der Mädchenarbeit in einem geschlechtshomogenen Setting mit männlichen Erziehern, Sozialarbeitern.
Der geschlechtshomogene Raum bildete eine Prämisse der Mädchen- wie der Jungenarbeit. Nur Frauen sollten in diesen Settings mit Mädchen und nur Männer mit Jungen arbeiten.
In den 1990er Jahren suchten Jungenarbeiter nach einem eigenständigen Verständnis der Jungenarbeit, ausgehend von der Situation der konkreten Jungen. Sie richteten ihr Augenmerk darauf, Jungen zu stärken, glücklich zu leben und ihre (gerade auch emotionalen) Potentiale zu entfalten. Deshalb ersetzten sie das Attribut „antisexistische“ durch „emanzipatorische“, „identitätsorientierte“ oder „reflektierte“ Jungenarbeit.
Die nicht-essentialistische Jungenarbeit geht davon aus, dass Jungen ermutigt werden sollen, ihr vollständiges menschliches Potential zu entfalten – nicht eingeengt durch Erwartungen und Vorschriften für ein männlich Sein in einer einem weiblich Sein entgegen gesetzten Weise. Sie verdeutlichten, dass männliches Stereotypisieren Jungen um grundsätzliche Möglichkeiten ihrer menschlichen Ganzheit bringt. Mit solchen Engführungen haben vermutlich zu tun: die Affinität zum Drogenmissbrauch, bestimmte emotionale und mentale Störungen, die hohe Suizidrate, Risikoverhalten, aggressives und gewalttätiges Verhalten, eine Reihe von Krankheiten.
Experten der Jungenarbeit befassen sich auch mit Diskriminierungs-/Privilegierungsprozessen bezüglich hegemonialer und marginalisierter Männlichkeiten.

Reflexive/bewusste Koedukation
Schulen sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz normalerweise koedukativ. Das gleiche gilt für die Jugendzentren, wenn diese auch oft mehrheitlich von männlichen Kindern, Jugendlichen besucht werden. In koedukativen Zusammenhängen übt Geschlechterpädagogik gleichberechtigte, nicht diskriminierende Kommunikation und ebensolches Zusammenleben aller Geschlechter auf Augenhöhe.
Sie verdeutlicht, dass Fähigkeiten und Talente nicht an das Geschlecht von Menschen geknüpft sind. Dieses geschlechterpädagogische Setting wird als reflexive/bewusste Koedukation bezeichnet.
Pädagog_innen müssen ein ausgeprägtes Bewusstsein und große Aufmerksamkeit für Geschlechterhierarchien einüben, sowie für Geschlecht produzierende Sozialisationsprozesse und geschlechtsbezogene Gruppendynamik. Sie müssen selbstreflektiert und selbst-bewusst sein bezüglich ihrer eigenen geschlechtlichen Sozialisation und Stereotype.
Dieses Bewusstsein bildet eine Voraussetzung für Akzeptanz und Gleichheit; dafür Kinder aller Geschlechter zu unterstützen, ihre Erfahrungen, individuellen Talente, Vorlieben, Wünsche und Pläne auszudrücken; Strukturen und Prozesse zu kreieren, in denen junge Menschen Geschlechtergleichstellung und deren Vorteile für alle Geschlechter erfahren.
Reflexive Koedukation versteht sich als ein multidimensionales Konzept, ein für Pädagog_innen hochambitioniertes und anspruchsvolles Setting, für das Lehrer_innen normalerweise nicht ausgebildet werden.

Cross Work
“Cross Work” (dieser englische Begriff wird im Deutschen für dieses Setting verwendet) bezieht sich darauf, dass Lehrerinnen/Jugendarbeiterinnen geschlechtssensibel mit Jungen arbeiten und Lehrer/Jugendarbeiter geschlechtssensibel mit Mädchen.
Im Kindergarten beispielsweise bauen Erzieherinnen mit Jungen Höhlen und spielen mit ihnen kraftvolle Spiele, während Erzieher die Versorgungsarbeit übernehmen und trösten. Cross Work wird auch in Jugendzentren oder Schulen gemacht, wenn etwa Sexualpädagogen mit Gruppen von Mädchen Workshops durchführen und Sexualpädagoginnnen mit Jungen.
Cross Worker_innen benötigen ein spezielles Bewusstsein, Sensitivität und Reaktionsfähigkeit bezüglich widersprüchlicher Hierarchien, in denen sich Frauen mit Jungen befinden können (einerseits als Frauen, andererseits als Professionelle, Erzieherinnen, Ältere) und für die mehrfache Hierarchie von Männern mit Mädchen (als Mann, Professioneller, Erzieher, Älterer).
Ein sorgsam erarbeitetes Arbeitskonzept und die enge Zusammenarbeit männlicher_weiblicher Kolleg_innen sind eine Voraussetzung dafür.

Queer Pädagogik
Queer Pädagogik ermutigt und unterstützt im Kontext der Jugendarbeit schwule, lesbische, bisexuelle, intersexuelle, transgeschlechtliche junge Menschen. Die Kritik an der bipolaren Aufteilung der Welt bildet einen Ausgangspunkt dafür. Queer Pädagogik will multiple Unterschiedlichkeiten und gemischte Geschlechtlichkeiten als Lebensweisen bewusst machen. Sie wurde insbesondere während des letzten Jahrzehnts entwickelt. Eigene Institutionen und Organisationen arbeiten inzwischen in diesem Zusammenhang. Aber auch im Mainstream der Jugendarbeit machen sich LGBTI Menschen zunehmend sichtbar und werden entsprechende Lebensweisen thematisiert. Hier geht es darum, einen geschützten Raum zu gewährleisten und Akzeptanz für alle Geschlechter zu schaffen.

Geschlechterpädagogik bezweckt also die Befreiung von einschränkenden Geschlechtsstereotypen und bipolaren Definitionen von Geschlecht. Für die Individuen bietet sie Freiraum für Erfahrungen und Reflexionen, um herauszufinden, dass es kein Richtig oder Falsch in Bezug darauf, wie Kinder, Jugendliche sich selbst geschlechtlich erleben, wahrnehmen, erfahren, ausdrücken und für Lebensweisen, die sie wählen wollen. Auf der gesellschaftlichen Ebene trägt sie zur Geschlechtergleichstellung, Chancengleichheit und einer sichereren Umgebung für alle Geschlechter bei.

Geschlechterpädagogische Expert_innen wie Claudia Wallner, Michael Drogand-Strud, Marce Franke, Mart Busche etc. konzeptualisierten Geschlechterpädagogik. Sie beschreiben eine Herangehensweise, die auch für Kindergärten und Grundschulen als Ausgangspunkt qualifiziert ist.
Pädagog_innen müssen sich der Grenzen und Potentiale der Settings bewusst sein und genau entscheiden, in welcher Situation sie welches Angebot machen.
Mädchenarbeit und Jungenarbeit dramatisieren Geschlecht beim Zugang zum Setting, aber nicht während der Arbeit in den homogenen Gruppen. Reflexive Koedukation  dramatisiert nicht beim Zugang, allerdings während der Arbeit, wo Genderplots und das Ausagieren von Geschlechterunterschieden zum Zug kommen. Cross Work betont Geschlechterdifferenz sowohl im Zugang als auch im Setting selber.

Claudia Wallner visualisiert Geschlechterpädagogik in einem Modell mit fünf Säulen, dem ich als fünfte die Queerpädagogik hinzugefügt habe.




* Geschlechtersensible, geschlechterbewusste, geschlechterreflektierende Sozialarbeit, Beratung, Therapie mit Mädchen.


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